Friday, April 28, 2006

mir geht nichts über mein gehirn

Wenn man sich als Materialist bezeichnet, wird man ja häufig mit längst überkommenen Weltbildern konfrontiert. Der time lag zwischen Wissenschaft und Gemeinplatz ist ja bekannt, wer heute aber bei Materialismus immer noch an lineare Modelle mit festgelegtem Endzustand denkt, hat wohl noch nie etwas von Quantenmechanik und komplexen, sich selbst organisierenden Systemen gehört. Gerade bei der Debatte um die Hirnforschung, damals ausgelöst von diesem Manifest, hatte ich als naturwissenschaftlich interessierter Laie oft das Gefühl, da reden Leute hemmungslos und vorurteilsbeladen aneinander vorbei. (Gut, es geht auch um Forschungsetats und Erkenntnis-Eitelkeit.)

Der Wolf Singer unternimmt hier in der "Süddeutschen" den Versuch, allen "Reflex-Hassern" der Hirnforscher die Grundlagen und Einschränkungen einer materialistischen/physikalischen Sichtweise zu vermitteln. (Oder nennen wir sie lieber biologisch oder organisch oder anthropologisch? Aber das sind alles historisch negativ behaftete Bezeichnungen.) Singers Erklärung ist überzeugend und plausibel (ich finde sie sogar logisch, wie soll es denn anders sein?), und durchaus mit den Erkenntnissen der Psychologie, insbesondere der Entwicklungspsychologie, in Einklang zu bringen.

Ich würde in Ergänzung dazu noch an Antonio R. Damasio erinnern, der meint, im Gehirn sind alle Körperzustände abgebildet. Das hilft für das Verständnis, dass das Gehirn keine übergeordnete "Schalt- und Waltzentrale" ist, sondern in Wechselwirkung mit dem gesamten Organismus steht. Es ist viel mehr ein auf körperliche und Umwelt-Einflüsse reagierendes Organ (Fußnote: auch mittels Sprache, Denken ist nicht laut artikuliertes Sprechen, entsteht aber nicht aus dem "Nichts", sondern benötigt einen Impuls, wie nebenbei gesagt auch Kreativität) als ein agierendes. Da bekommt der dem Alltagsverstand verhaftete Spruch "In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist" eine völlig neue Berechtigung.

Klar ist, dass die moderne Hirnforschung mit ihren bildgebenden Verfahren (vorläufig) nur die elektrische Erregung zeigen kann und nicht die Informationen (also nur das Wie und nicht das Was, vgl. dazu Kognitionswissenschaft). Das reicht für mich aber nicht als Gegenargument. Problematisch wird die ganze Sache erst dann, wenn aus den Erkenntnissen "Normalitätsvorstellungen" und nicht Erklärungen für Individualität (klammern wir mal vorsichtshalber schwere Hirnschädigungen, die als Krankheit anzusehen sind, aus) abgeleitet werden. Auch würde ich (das ist natürlich nur ne These) gesellschaftliche Einflussfaktoren, also äussere, für die psychische Entwicklung immer höher werten als genetische.

Es bleibt, Hirnforschung hin oder her, dabei: Lieber die Ursachen (gesellschaftliche Reproduktionsbedingungen) psychischer Leiden ändern, als nur die Auswirkungen korrigieren. Das klingt nach ökonomischem Determinismus? Hm, damit kann ich trotz sozialistischer Sozialisation, was gegenteilige Erfahrungen beinhaltet, leben. (Aber es behauptet ja auch niemand, dass das real Existierende irgendwas mit Kommunismus zu tun hatte.)

Nebenbei: Ich habe den Eindruck, die ganze moralphilosophische Gegnerschaft der Hirnforscher sieht das Gespenst Max Stirner am Horizont - aber das ist ein anderes Thema...


np: radiohead - creep (ich suche immer noch diesen deutschen film über eine manisch-depressive frau, die immer wenn sie mal wieder umzieht dieses lied hört, weiss jemand wie der heisst?)

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